Dec 09, 2021
Von Leon Reichle
Mein Aufenthalt in Berkeley fand aufgrund der Pandemie ein Jahr später als geplant statt. Demzufolge befand ich mich währenddessen, statt wie geplant in Datenevaluierungsphase, im Endspurt meiner Doktorarbeit. Nichtsdestotrotz war die Erfahrung für mich sehr produktiv und wertvoll.
Der größte Meilenstein während der Zeit in Kalifornien bestand darin, dass ich einen ersten Entwurf meiner Doktorarbeit fertig schreiben konnte. Dabei war meine Gastgeberin eine große Hilfe. Durch ihren differenzierten Blick aus einem anderen Kontext half sie mir, meinen Beitrag zu akademischen Debatten herauszuarbeiten und zu schärfen. Besonders half mir ihre Unterstützung bei der Kürzung und Präzision der theoretischen Einordnung meiner Arbeit. Aber auch ihr Feedback zu meinen analytischen Kapiteln hat mich in meiner Arbeit bestärkt. Für mich war es sehr ermutigend, einen Blick „von außen“ auf meine Dissertation zu erhalten. Dabei habe ich auch gelernt, besser einzuordnen und hervorzuheben, welchen Mehrwert meine Forschung zu Ostdeutschland für transatlantische, beziehungsweise internationale Debatten hat. Für meine zukünftige forscherische Tätigkeit lehrt mich das, wie ich aus lokalen Forschungsergebnissen abstrahieren und mit internationalen Forscher:innen in den Dialog treten kann. Weiterhin konnte ich geplante Publikationen mit meiner Gastgeberin diskutieren. Dabei waren sowohl ihre fachliche Expertise als auch ihre Erfahrungen mit internationalen Journals sehr hilfreich. Aus unserer Diskussion ist ein Manuskript für einen Artikel entstanden und einige Ideen für weitere.
Besonders wichtig für mich war auch der Austausch über mögliche Zukunftsperspektiven, sowohl mit anderen Doktorand:innen als auch mit meiner Gastgeberin und Mentorin. Ihre eigene interdisziplinäre Erfahrung, sowie Einsichten in das unglaublich diverse Geographieprogramm hier haben mich ermutigt, meinen interdisziplinären Standpunkt konstruktiv zu nutzen. Daraus, aus der Teilnahme an verschiedenen Diskussionsgruppen und Lectures und insbesondere aus vielen informellen Treffen, Kaffeepausen und langen Diskussionen, konnte ich neue Ideen für Forschungsprojekte entwickeln. Inspiriert hat mich dabei vor allem die Verschiedenheit von Perspektiven auf den Staat in Deutschland und den USA – was akademische wie politische Debatten angeht. Mit diesen Ideen und Erfahrungen im Gepäck werde ich mich in den nächsten Monaten auf Post-Docs bewerben.
Da ich meine Promotion an einer englischen Universität absolviert habe und diese Zeit bald zu Ende geht, ist für die deutsch-amerikanische Kooperation vor allem meine zukünftige Aktivität an deutschen Universitäten relevant. Mit dem Plan, mich nach Abschluss meiner Doktorarbeit auf Post-Docs zu bewerben, möchte ich diese Kooperation ausbauen. Ich würde sehr gerne an einer deutschen Institution angebunden sein, und von dort ein vergleichendes Projekt anstreben. Dabei würden mir die geknüpften Kontakte während meiner Zeit hier sehr weiterhelfen.
Daneben ist in Berkeley auch ist ein wunderbarer innerdeutscher Kontakt entstanden, mit Hanna, einer anderen Fulbright-Stipendiatin. Durch überraschende Überschneidungen in unseren Forschungsinteressen, aber auch einfach den Austausch über gemeinsame Erfahrungen, konnten wir uns gegenseitig unterstützen. Darüber hinaus waren wir ein perfektes Team für gemeinsame Abenteuer und Ausflüge.
Außerdem besteht in meinem in der Bay Area entstandenen Umfeld, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität, reges Interesse an Leipzig. Durch die vielen Erzählungen aus meiner Doktorarbeit, die sich mit der Entwicklung Leipzigs beschäftigt, konnte ich verschiedensten Menschen ein differenzierteres Bild von Ostdeutschland und insbesondere ostdeutscher politischer Stadtentwicklung vermitteln. Ich hoffe, dass sich dieses Interesse in weiterem Austausch und vielen Besuchen manifestieren wird.
Neben meiner akademischen Anbindung habe ich die Zeit in Berkeley genutzt, um anderweitig lokale Kontakte zu knüpfen. Dafür war besonders meine wunderbare WG wichtig, ein Glückstreffer bei craigslist. Daneben habe ich es genossen, an der Uni ein großes Büro mit verschiedenen sehr interessanten Doktorand:innen zu teilen, regelmäßig gemeinsam Kaffee trinken zu gehen und unsere jeweiligen Projekte zu diskutieren.
Außerhalb von Zuhause und Universität waren meine ersten Anlaufpunkte für community building verschiedene Box und Thaibox Gyms. Bei einem bin ich geblieben, habe einige Freund:innen kennengelernt und meinem Kopf regelmäßige Pausen vom Promotionsprojekt gegönnt.
Ehrenamtlich habe ich mich außerdem bei einem neighbourhood back to school event engagiert, was von einem Kollektiv organisiert wurde, das black liberation murals gestaltet. Die Auseinandersetzung mit diesen öffentlichen Wandgemälden zur lokalen Geschichte Schwarzer Emanzipation hat mir einen spannenden Einblick in vergangene und gegenwärtige Konflikte, Projekte und politische Errungenschaften der Bay Area gewährt. Darüber hinaus hat mir die Teilnahme an einigen Gewerkschaftstreffen von student lecturers einen Eindruck von akademischen Arbeitsverhältnissen hier, Selbstorganisation und politischen Perspektiven vermittelt. Um über letztere mehr zu erfahren, habe ich mich außerdem spontan entschlossen, einige Interviews für ein (deutsches) ehrenamtliches Podcastprojekt zu führen. In drei langen Gesprächen habe ich neu gewonnen Freund:innen über ihre aktivistische Arbeit in Zusammenhang mit Black Lives Matter; Antirepression und gewerkschaftlicher Organisation befragt. Mit den Folgen die aktuell daraus entstehen, möchte ich auch jenseits meiner akademischen Forschung einen Beitrag zum deutsch-amerikanischen Wissens- und Erfahrungstransfer leisten.
Zu guter Letzt konnte ich den Aufenthalt nutzen, um Ausflüge in die wunderschöne Natur und Landschaft Kaliforniens zu machen, meine 85jährige Großtante in L.A. zu besuchen und dabei meine kleinen Cousin:en besser kennen zu lernen. Der Besuch meiner Familie, die vielen schönen Erfahrungen beim Boxen, die kleinen Ausflüge und die inspirierenden Gespräche auf dem wunderschönen Campus in Berkeley gehören zu den Highlights meiner Zeit in Kalifornien.