Jan 17, 2022

Wie Storytelling zur Stadtentwicklung beitragen kann

Grantee Experience (Doktorand:innen-Programm)

Von Hanna Seydel

Durch das Doktorand:innen-Programm von Fulbright Germany erhielt ich die Möglichkeit von Juni bis Oktober 2021 als Visiting Researcher an der UC Berkeley zu forschen. In dieser Zeit habe ich viele persönliche Eindrücke sammeln und meine Forschung weiter voranbringen können. Es war eine besondere Erfahrung, und ich bin sehr dankbar für die Chance, die ich durch Fulbright erhalten habe.

An der Uni

Meine Gastgeberin an der UC Berkeley war Susan Moffat. Sie leitet die Global Urban Humanities Initiative am College for Environmental Design der UC Berkeley, zu dem auch das Future History Lab als aktuelles Programm gehört. Hier geht es um das Erzählen von Geschichten, um zukünftige räumliche Entwicklungen zu verstehen und zu gestalten. Das Programm verknüpft Kunst, Storytelling, digitale Technologie und Installationen im öffentlichen Raum, um Fragen nach Gerechtigkeit, Intersektionalität und (Lebens-)Umwelt zu beleuchten und zu analysieren. Mein Forschungsinteresse liegt in der Auseinandersetzung mit Storytelling als partizipative Methode in der Stadtentwicklung, sodass ich, aus der Raumplanung kommend, sehr viel von der interdisziplinären Herangehensweise lernen konnte.

In den ersten zwei Monaten konnte ich an einem Summer Course teilnehmen, der sich mit Race, Gentrification and Redevelopment beschäftigte und den Schwerpunkt auf Oral History legte. Für mich ein spannender Einstieg, um viel über die Amerikanische Geschichte zu lernen und die Rolle der Stadtplanung zu verstehen. Aus diesem Sommerkurs heraus hat sich zudem die Möglichkeit einer Veröffentlichung ergeben, an der ich von nun an für ca. ein Jahr mit der Kursleiterin arbeiten werde. Ein für mich lehrreicher und reizvoller Austausch.

Auch im Fall Semester konnte ich dann an einem, von meiner Gastgeberin organisierten, Kolloquium über Place-Based Storytelling teilnehmen. Der Austausch mit verschiedenen Planungspraktiker:innen, Community Activists und den Studierenden war sehr anregend.

Meine Forschung

Für meine Forschung waren zwei Fallstudien interessant, die ich während meines Aufenthaltes besser kennenlernen und untersuchen konnte. In diesem Zusammenhang habe ich viele Ortsbegehungen gemacht und Interviews geführt. Diese waren überwiegend online aufgrund der pandemischen Lage, aber vereinzelt auch persönlich. Ich habe mir angeschaut, wie die Menschen durch bottom-up organsierte Projekte das Erzählen von Geschichten nutzen, um sich Räume anzueignen, um die Macht über die Entwicklung ihres Stadtteils wieder zu erlangen oder um die Einzigartigkeit eines öffentlichen Ortes zu bewahren. Dadurch, dass mein Forschungsthema erzählenden Austausch als zentralen Bestandteil hat, bin ich auch mit vielen Menschen vor Ort über ihre persönlichen Geschichten in Kontakt gekommen und habe ganz besondere Einblicke in ihre Alltagswelten erhalten. Auch in lokale Gruppen haben sich viele Kontakte ergeben, sodass ich mich gleich zu Beginn meines Aufenthalts bei einem Nachbarschafts-BBQ wiederfand oder als freiwillige Helferin bei einem Schulfest tätig wurde.

Neben den Fallstudien, mit denen ich mich intensiv auseinandersetzte, arbeitete ich mit der außeruniversitären Einrichtung des StoryCenter Berkeley zusammen. Das StoryCenter bietet öffentliche und individuelle Workshops an, in denen Einzelpersonen und Organisationen Fähigkeiten und Werkzeuge erlenen, die den Selbstausdruck, die kreative Praxis und den Aufbau von Gemeinschaften durch das Erzählen von digitalen Geschichten unterstützen. Durch diese Zusammenarbeit konnte ich den Forschungsgegenstand des Erzählens besser verstehen und im Rahmen von online Workshops, aber auch Workshops in Präsenz selber erfahren, was es heißt Geschichten zu erzählen oder Menschen dazu anzuregen, eine Geschichte zu erarbeiten.

Mein Netzwerk

Über meine Kontakte an der UC Berkeley und im StoryCenter ist darüber hinaus ein Netzwerk von Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen entstanden, die sich mit dem Thema des Erzählens und der Stadtentwicklung beschäftigen. Viele formelle und informelle Austauschsituationen haben mir während meines Aufenthaltes geholfen, meine Forschungsfragen zu schärfen, erste Erkenntnisse zu reflektieren und über die nächsten Schritte nachzudenken. Dieses Netzwerk ist für mich sehr wichtig geworden und wird auch in Zukunft sowohl für meine Forschung, als auch privat eine Rolle spielen. Es war vor allem schön, in verschiedenen Kontexten auf andere, ehemalige Fulbrighter:innen zu treffen und darüber direkt eine besondere Verbindung zu haben.

Das Leben in Berkeley

Neben den Kontakten, die sich durch meine Forschung ergaben, habe ich einige Freundschaften durch die Mehrgenerationen-WG in der ich wohnte, aufbauen können. Zudem stand ich in engem Kontakt mit einer anderen Person aus dem Fulbright-Doktorand:innen-Programm. Gemeinsam haben wir viele Wanderungen in der Bay Area unternommen, die Städte San Francisco, Oakland und Los Angeles erkundet und den Yosemite Nationalpark erwandert. In Berkeley selber konnte ich ein paar der Sportangebote der Uni wahrnehmen, ich war viel schwimmen und Kajak fahren.

Insgesamt bin ich sehr dankbar für die Wertschätzung, die mir entgegengebracht wurde. Ich hatte nicht erwartet, auf so viel Interesse für meine Person und mein Forschungsinteresse zu stoßen. Ich hoffe, dass ich den Menschen vor Ort ebenfalls entsprechend positiv in Erinnerung bleibe. Für meine Forschung hat sich der Aufenthalt mehr als geloht, es haben sich erste Erkenntnisse und neue Fragen ergeben, die ich in Zukunft hier in Deutschland, aber auch im weiteren Austausch mit den Menschen aus der Bay Area bearbeiten möchte. Ich kann nur jedem:r empfehlen das Wagnis einzugehen und sich bei Fulbright Germany zu bewerben.

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