Oct 25, 2018
Vor etwas mehr als einem Jahr erfasste mich das Fernweh. Ich wollte raus aus Deutschland und etwas von der Welt sehen. Es kam mir vor wie eine absurde Idee und ich hätte nie gedacht, dass der Satz "Ich gehe für ein Semester ins Ausland" mal aus meinem Mund kommen würde. So etwas habe ich immer nur von anderen Leuten gehört. Diese tollen Geschichten, die auf vielen Partys hochkamen, die von verrückten Abenteuern und absurden Begegnungen erzählten. Ich hatte bis zu dem Moment, in dem ich im Flieger saß, nicht wirklich geglaubt, dass ich nun auch eine von den "Ich-bin-im-Ausland" Studentinnen bin. Dass ich es wirklich zustande bringen werde. Doch da saß ich nun, im Flieger auf Platz 46F, am 2. August 2018, auf dem Weg von Berlin nach Los Angeles. Die Nacht zuvor habe ich kaum geschlafen, und auch die folgenden Nächte konnte ich vor Aufregung kaum ein Auge zu tun.
Ich verbrachte die ersten 20 Tage in California, bevor es dann zu meiner Uni in Minnesota, Morris ging. Bereits am ersten Tag verwirklichte ich meinen Traum und ging surfen am weltberühmten Huntington Beach. Ich entschied mich bewusst dazu, zusammen mit anderen Reisenden in einem Zimmer zu leben, denn so lernte ich neue Leute kennen und es wurde nie langweilig. Nach einer Woche im Surfcamp fuhr ich nach Los Angeles, dann zum Yosemite Park und schließlich nach San Francisco. Es waren alles Orte, von denen ich immer so viel im Internet sah und hörte, dass es mir wirklich komisch vorkam, sie nun in echt zu sehen. Oft hatte ich das Gefühl, zwischem mir und dem, was ich gerade sehe, fehlte der Handybildschirm. Ich zückte mein Handy deshalb bewusst nur selten für Fotos und versuchte umso mehr, mir diese ganzen besonderen Momente einzuprägen. Wie zum Beispiel den Moment, in dem ich das erste Mal die Golden Gate Bridge sah. Oder den Hollywood Walk of Fame. Oder der eine Abend, an dem ich bis tief in die Nacht mit meinen (bis vor einer Stunde noch unbekannten) Mitbewohnern Die Siedler von Catan gespielt habe. Ich lernte überall wo ich war immer neue und nette Leute kennen. Es war nervig, sie nach ein paar Tagen schon wieder zu verlassen, aber irgendwie war das ja auch der ganze Sinn dahinter, einmal quer durch California zu reisen. Nie wollte ich einen Alltag entwickeln, es sollte immer weiter gehen und immer Neues zu entdecken geben.
Als ich dann zur Uni gereist bin, war ich ehrlich gesagt trotzdem ein bisschen froh, jetzt erstmal an einem Ort zu bleiben. Aber es war und ist immer noch alles andere als alltäglich. Alleine schon, dass ich von anderen Professoren unterrichtet werde ist sehr aufregend. Sie lehren hier auf eine ganz andere Art und Weise als in Potsdam, der Unterricht ist interaktiver, die Klassen sind kleiner und es gibt jede Woche Gruppenarbeiten. So groß die Unterschiede in der Art des Unterrichtens sind, so klein sind sie auf inhaltlicher Ebene. Immer wieder höre ich Dinge, die ich genau so schon aus dem Mund meiner Professoren in Potsdam gehört habe. Das hat mich anfangs total überrascht, war ich doch überzeugt davon, dass in den USA bestimmt ganz andere Theorien unterrichtet werden. Letztendlich gibt es mir aber eine Bestätigung dafür, dass das, was ich in Potsdam lerne, genau so auf der ganzen Welt gelehrt und akzeptiert wird.
Mein Campus ist sehr klein und familiär. Aber langweilig wird es trotzdem nie. Fast jeden Tag finden irgendwelche Club-Treffen statt und oft kann ich bei Sportspielen der Uni-Mannschaft zuschauen. Ich bin der Jazz-Band beigetreten und trage mich oft für Freiwilligendienste ein, bei denen wir Samen vom Feld sammeln, ins Seniorenheim gehen oder Essen für ein Community-Meal vorbereiten. Das machte es ziemlich einfach, neue Freunde zu finden. Vor allem mit anderen international Studierenden habe ich enge Freundschaften geschlossen. Wir verbringen viele Abende zusammen, spielen Billard und gucken Filme, wir gehen zusammen Basketball spielen und fahren zusammen zum Supermarkt. Hier und da bringen wir uns gegenseitig unsere Sprachen bei: Japanisch, Russisch, Arabisch, Chinesisch... und natürlich lerne ich jeden Tag etwas Neues im Englischen dazu.
Besonders viel Freude finde ich daran, meine Kultur und Erfahrungen aus Deutschland zu teilen. Einen Abend hielt ich einen Vortrag über die Eigenarten der deutschen Sprache und demnächst gibt es einen Language Cycle, bei dem ich Interessierten ein paar deutsche Wörter beibringen kann. Ich bin auch dem Deutschklub beigetreten und stellte letzte Woche ein paar mehr oder weniger berühmte YouTube-Videos vor. Viele Studierende hier haben deutsche Wurzeln oder haben Deutsch als Fremdsprache gelernt. Das hatte ich garnicht erwartet, aber anscheinend gab es hier vor ein paar Jahrzehnten eine Einwanderungswelle aus Nordeuropa. Die Leute in meinem Alter haben deshalb oft deutsche Omas und Opas. Ich freue mich immer wieder, wenn jemand mit mir auf Deutsch spricht und mich nach Wörtern oder der Grammatik fragt. Ich lerne dadurch auch viel über meine eigene Sprache. Das Auslandssemester ist nun fast zur Hälfte rum und trotzdem kann für mich noch lange nicht von einem Alltag die Rede sein. Jeden Tag lerne ich neue englische Wörter, jeden Tag lerne ich etwas mehr über Amerika und jeden Tag kann ich etwas mehr von meiner Kultur teilen. Es ist genau so, wie ich es mir vor eineinhalb Jahren erträumt habe und es ist genau so, wie in den abenteuerlichen Geschichten über Auslandsaufenthalten. Ich kann es kaum erwarten, auf den Partys davon zu erzählen.