Apr 02, 2020
Die COVID-19-Pandemie hat uns alle in unerwarteter Weise getroffen. Der gewohnte Rhythmus des Alltagslebens ist zum Stillstand gekommen, viele lang geplante Reisen wurden abgesagt, Arbeitsplätze und Einkommen sind unsicherer geworden und unzählige Kongresse und Austauschprogramme wurden beeinträchtigt. Um diesen neuen und unsicheren Zeiten entgegenzuwirken, haben wir uns an unsere Fulbright-Alumni gewandt, von denen viele ganz direkt mit den Konsequenzen der Pandemie konfrontiert sind. In unserem ersten Interview befragten wir den erfahrenen Wissenschaftsjournalisten und Fulbright-Alumnus Jan-Martin Wiarda zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die weltweiten wissenschaftlichen und politischen Prozesse und die Zukunft des globalen Austauschs. Was er erzählte, zeigt, wie eng das Persönliche und das Politische in den Zeiten des Coronavirus wirklich miteinander verflochten sind.
Das Interview mit Jan-Martin Wiarda
Ich habe seit Anfang März eine Vielzahl von Artikeln in meinem Blog verfasst, die, wenn ich sie im Rückblick lese, recht gut die dynamische Entwicklung erkennen lassen, die uns alle in den vergangenen Tagen und Wochen in Atem gehalten hat. Noch vor drei Wochen konnte sich keiner die Welt vorstellen, in der wir heute leben.
Die Pandemie kommt wie ein Schock über Wissenschaft, Politik und den internationalen Austausch. Von jetzt auf gleich sind unsere Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen wie eingefroren, Austauschprogramme kommen zum Erliegen. Die Politik befindet sich in einem fortwährenden Krisenmodus. Sie versucht, die schlimmsten sozialen und wirtschaftlichen Folgen von geschlossenen Grenzen und Ausgangsbeschränkungen abzumildern, doch das gelingt ihr auch deshalb nur in Ansätzen, weil die Lage sich weiter jeden Tag verändert. Die Wissenschaftler beobachten die Geschehnisse und versuchen, Planungen für die nächsten Wochen und Monate zu machen – ohne zu wissen, wie dann die Situation ist. Kurzum: Es ist eine chaotische Situation, deren langfristigen Folgen für unser Zusammenleben und für den internationalen Austausch erst in Ansätzen erkennbar sind.
Ich musste gleich erstmal in Quarantäne, weil ich Kontakt zu zwei erkrankten Personen hatte. Das Zuhausebleiben fällt in diesen Zeiten allerdings auch nicht schwer, zumal wenn man drei kleine Kinder zu versorgen hat. Parallel habe ich versucht, meinen Blog weiterzuführen und die Auswirkungen von Corona auf Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen journalistisch zu begleiten. Wirtschaftlich bedeutet die Pandemie für unsere Familie ein Risiko: Ein guter Teil meines Einkommens stammt aus Vorträgen und den Moderationen öffentlicher Diskussionsveranstaltungen. All das ist von einem Tag auf den anderen weggefallen.
Social Distancing bedeutet nicht, dass wir uns emotional voneinander entfernen müssen. Im Gegenteil: Füreinander da zu sein in einer großen akademischen Gemeinschaft, wie Fulbright es ist, Zeichen der Gemeinschaft zu setzen, ist ungemein wichtig. Wir alle können etwas dafür tun! Durch kleine – digitale – Gesten, durch nette E-Mails, durch Hilfsaktionen für jene, die am schlimmsten getroffen sind – oder auch, indem wir uns einfach mal wieder gegenseitig anrufen.
Das Wichtigste: Auch wenn es uns im Moment manchmal anders vorkommen mag, es gibt eine Zukunft für den globalen Austausch und die Zusammenarbeit, und wir werden irgendwann auf diese Wochen und Monate zurückblicken und uns kaum noch vorstellen können, wie der Alltag ausgesehen hat. Doch die Zukunft wird nicht eine einfache Fortschreibung der Vergangenheit sein. Die Digitalisierung hält in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen gerade in einem nie vorstellbaren Tempo Einzug. Das wird auch den Austausch und die Zusammenarbeit über Grenzen und Kontinente hinweg verändern. Also: Womöglich reisen wir weniger, weil wir merken, dass die virtuelle Kommunikation uns auch nah zusammenbringen kann. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass bestimmte Erfahrungen, zum Beispiel ein Jahr lang in einer fremden Kultur zu leben, auch in Zukunft nur live und vor Ort gemacht werden können.
Was mir im Moment hilft, ist der Gedanke, dass Menschen in vielen Ländern vor denselben Problemen stehen. Und dass, obwohl die Staaten weltweit sich gerade voneinander abschotten, sie bei der Lösung dieser einzigartigen Krise stärker aufeinander angewiesen sind als je zuvor. In diesem Sinne erleben wir ein Paradoxon: Einerseits den Tiefpunkt des internationalen Miteinanders, andererseits könnte die Zusammenarbeit im Kampf gegen das Coronavirus zu einem Höhepunkt der globalen Zusammenarbeit werden – und uns allen zeigen, was Menschen auf der Welt gemeinsam erreichen können – wenn sie zusammenhalten.
Dr. Jan-Martin Wiarda ist freier Journalist, Wissenschaftskolumnist im TAGESSPIEGEL, Wissenschaftsblogger und Moderator. Er war bis Juli 2015 Leiter Kommunikation der Helmholtz-Gemeinschaft, Teilnehmer des Fulbright Germany Educational Expert Programms und ist Moderator der ID-E Konferenz.
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