Nov 14, 2018

California Dreams - Mein Auslandssemester an der California State University

Von Maria Fahr

Seit zweieinhalb Monaten bin ich nun in Long Beach, Kalifornien, ca. 40 km südlich von Los Angeles. Zweieinhalb Monate voller Sonne, Sand, Pazifik, überfüllten Freeways, neuen Gesichtern, Orten, Partys, spannenden Kursen, Yoga, Assignments, Tacos, Road Trips, atemberaubender Natur, Smog, Readings, Seelöwen, Burger, Salsa und noch mehr Sonne. Seit ich hier bin hat es genau einmal geregnet und dazu gab es ein wunderschönes Gewitter mit einem Netz aus Blitzen am Himmel.

Maria in Long Beach

Zwei Monate teile ich mir jetzt schon ein Zimmer mit meiner dänischen Mitbewohnerin in unserer WG aus vier Internationals. Wir alle studieren an der California State University, Long Beach, kurz „the Beach“. Die Uni hier ist sehr anders: Wie in der Schule ist Anwesenheit häufig Pflicht und in vielen Kursen gibt es wöchentliche Abgaben und zumindest in den Sozialwissenschaften extrem viel zu lesen. Die Benotung ist sehr freundlich, bis jetzt habe ich nur sehr gute Ergebnisse erzielt. Als einzige Austauschstudentin im Department Soziale Arbeit habe ich viel Unterstützung von der Departmentleitung bekommen. Ein Grund mehr, Dich auf einen Auslandsaufenthalt einzulassen, auch wenn das in Deinem Studiengang eher unüblich ist. Tipp: Traue Dich Professoren direkt anzureden oder anzuschreiben! Meine Erfahrung ist, dass hier weniger Wert auf Hierarchie gelegt wird und sich durch motiviertes Auftreten manchmal Türen zu Wunschkursen oder Extraveranstaltungen öffnen können. Das Fulbright Label schadet sicherlich auch nicht dabei. Die meisten Studierenden haben montags bis donnerstags Uni und dann ein langes Wochenende. Das hat bei mir nicht geklappt (ich habe montags, mittwochs und freitags Kurse), dafür habe ich eine Auswahl an inspirierenden ProfessorInnen. Besonders eindrucksvoll ist der Kurs „Dealing with Death, Dying and Loss“ für mich. Neben Theorien über Trauer und ethischen Fragen zu Sterbehilfe standen ein Trauerinterview und ein Besuch bei einem Bestatter auf dem Programm.

Der  Campus ist riesig. Von einem Ende zum nächsten läuft man bestimmt 20 Minuten. Gefühlt die Hälfte der Fläche ist mit Parkplätzen zu betoniert, denn im Süden Kaliforniens ist alles auf‘s Autofahren ausgelegt. Ein Zitat aus dem Roman „Pink Hotel“ von Anna Stothard beschreibt es perfekt (bis auf die herablassende Bezeichnung für die vielen Menschen, die sich auf Grund des absurden Wohnungsmarktes kein Obdach leisten können): „Los Angeles funktioniert rückwärts – die Leute kommen vom Parkplatz durch den Hintereingang, die Vordertüren sind nur Attrappen, weil außer Pennern und irgendwelchen Idioten niemand zu Fuß durch die Stadt geht.“ Ich gehöre zu den Idioten, die mit dem Fahrrad fahren. Long Beach gilt hier als Fahrradstadt, allerdings ist das kein Vergleich zu dem was ich aus Hamburg kenne, und Hamburg ist meiner Meinung nach nicht einmal besonders radfreundlich. Für die meisten scheint Radfahren hier zu bedeuten, dass man zu wenig Geld für ein Auto hat. Aber zurück zum Campus: Über Teilen der Parkplätze sind riesige Solaranlagen installiert – ein Beispiel für die absurden Kontraste, die Kalifornien in sich vereint (andere Beispiele: endlose Natur und krasse städtische Ballungsräume, Anzugmenschen in spiegelnden Glastürmen neben Menschen, die in Zelten oder Autos leben). Der Campus hat einiges zu bieten – immerhin bezahlen die Studierenden ca. $6.000 pro Semester (und das ist günstig im Vergleich zu anderen Unis): Eine riesige Student Union mit Bowling Bahn, Radio, Zeitung, Kicker- und Billardtischen, Fernsehen, Sofas; das Recreationalcenter mit Sportkursen, Pool, Whirlpool, Kletterwand und Fitnesscenter; verschiedenste Sportanlagen und die Pyramidenförmige Arena; ein Kunstmuseum; Fast Food Ketten sowie zwei Starbucks; ein Bookstore mit allem möglichen Merchandisekram und – man glaubt es kaum – einer Bücherabteilung; die fünfstöckige Bibliothek mit Aussicht auf die Bergketten im Westen; eine Unzahl von verschiedenen Studierenden Clubs (Surfen, Bogenschießen, Feminismus – alles dabei); ein Aquarium mit Haien und die Teleskope vom Astronomieclub. Es tut gut, das zwischen den Vorlesungsgebäuden Grünflächen sind, auf denen man sich ausruhen kann, denn die meisten Grünflächen im Stadtgebiet werden von Golfplätzen eingenommen. Viele US-amerikanischen Studierenden arbeiten nebenbei, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, weshalb es nicht so einfach ist, Freizeit zusammen zu verbringen. Ich bin froh, dass mir zu Beginn des Semesters der Tipp gegeben wurde, in jedem Kurs eine/n Kommilitonin/en um seine/ihre Nummer zu bitten. So habe ich AnsprechpartnerInnen in jedem Seminar.

Freeway nach L.A.

Das Leben in Kalifornien ist teuer. Für ein geteiltes Zimmer in einer 4er-WG in Campus Nähe (15min mit dem Rad) bezahle ich gut $600 im Monat - fast doppelt so viel wie für ein eigenes Zimmer in einer 2er-WG in Hamburg. Das einzige was hier wirklich deutlich billiger ist, ist Benzin. Kulinarisch hat Kalifornien sehr viel zu bieten: Neben dem typischen Burger-Fast-Food gibt es mexikanische Fischtacos, chinesische Ramen Noodles, koreanischen BBQ, vietnamnesische Sandwiches, el salvardorianische Tamales und, und, und… Mein Favorit ist Kokusnusseis am Stil, das häufig aus kleinen Fahrradwägen am Straßenrand verkauft wird.

Die Menschen in Long Beach erlebe ich als sehr freundlich und offen. Egal ob im Bus, auf der Straße, im Supermarkt oder beim Yoga am Strand – wie von allein entstehen kurze fröhliche Begegnungen wie diese: Ein Freund hatte mein Rad repariert, aber irgendwas stimmte nicht mit der Bremse. Auf dem Gehweg stellte ich es Kopf, um es mir genauer anzusehen. Ein Mann auf seinem Rad hielt und bot mir seine Hilfe an, holte kurzerhand Werkzeug von zuhause, reparierte mein Rad und schenkte mir den Multifunktionsschraubendreher. Sowohl unterwegs als auch in der Uni werden mir häufig Fragen gestellt zu meinen Erfahrungen in und Gedanken über Kalifornien, den USA und Deutschland. Smalltalk gehört hier einfach dazu. Deutlich schwieriger ist es, wirkliche Freundschaften zu knüpfen, denn häufig sind die Andeutungen, man könne sich ja mal auf einen Kaffee treffen oder einen day trip nach Vegas unternehmen, nicht ernst gemeinte Höflichkeitsfloskeln. Wenn solche Trips zu stande kommen, sind sie aber umso schöner!

Denn es gibt unglaublich viel zu entdecken in der Gegend. Absolut notwendig ist hierfür ein Auto und auch etwas Geduld. In L.A. sind die vielspurigen Freeways IMMER voll. Zu meinen schönsten Erlebnissen gehören eine open air Jazznacht im Los Angeles County Museum of Art (LACMA), die nächtliche Aussicht vom Griffith Observatory (zu sehen in LaLaLand), die dutzenden Delphine die das Whale Watching Boot im Pazifik vor Long Beach umspielten, die wunderschöne und schier endlose Natur der Nationalparks, Sonnenuntergang in Malibu, mit dem Motorrad über die Golden Gate Bridge in San Francisco zu fahren (Danke an meinen Couchsurfing Host!), ein Drake Konzert zu besuchen (das Stadion sang alle Texte mit), die Seelöwen an der Steilküste bei San Diego und spontanes Zum-Strand-Fahren, Im-Sand-Liegen und Den-Wellen-Lauschen.

Das Auslandssemester fördert Austausch auf vielen verschiedenen Ebenen. Ein Freund aus Long Beach, der Austauschstudent in Hamburg war, hatte mich für die ersten zwei Wochen meines Aufenthalts zu seiner Familie eingeladen. Seit dieser Zeit, besuche ich die Familie regelmäßig und seine Mutter bringt mir verschiedene mexikanische Gerichte bei. Zuletzt haben wir traditionelles Gebäck für den Día de los Muertos gebacken. Über einen Professor konnte ich an dem Community Organizing Workshop „Long Beach Rising“ teilnehmen und Einblicke in politische Arbeit in Long Beach bekommen. Schließlich stehen am 6. November die midterm elections in den USA an! Es ist spannend zu sehen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten die politischen Systeme in den USA und Deutschland haben. Dabei wird deutlich, dass sie von Menschen gemacht und somit veränderbar sind. So befeuert das Auslandssemester meine Motivation, mich in internationaler und politischer Soziale Arbeit zu engagieren!

Dieses Semester in Long Beach ist eine riesige Bereicherung für mich. So viele neue Menschen, Orte, Eindrücke! Die Uni hier inspiriert mit nochmal ganz andere Berufswege in Erwägung zu ziehen. Ursprünglich war ich auf die Themen Migration und Flucht fokussiert, doch jetzt denke ich auch über Hospizsozialarbeit und Restorative Justice nach. Danke an die Fulbright-Kommission für das Ermöglichen dieser Impulse und Erfahrungen!

Maria in San Francisco vor der berühmten Golden Gate Bridge

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